12. Deutsch-französischer Austausch der ländlichen Leute

| Gemeinde

Landwirtschaftliche Themen bildeten einen Hauptaspekt

Zur Mittagszeit und bei ungewöhnlich heißem Spätsommerwetter öffneten sich in der letzten Augustwoche die Tore der Saligschen Kartoffelscheune weit, dekoriert mit einer französischen und einer deutschen Flagge. Darüber hing als vereinende Flagge die Europäische. Einen Abend zuvor hatte sich ein mit 41 Personen jeglichen Alters besetzter Bus auf den Weg von Bricquebec in die Samtgemeinde Lachendorf aufgemacht. Ungeduldig warteten die Gastfamilien auf ihre Gäste, mit denen sie in der nächsten Woche viel Zeit und Erlebnisse teilen wollten. Bei vielen Neulingen des Austausches herrschte ebenso eine gewisse Spannung. Was für eine Persönlichkeit verbarg sich hinter dem Namen auf der französischen Teilnehmerliste?

Für viele der Franzosen war es die erste Reise in die Heideregion. Sie hatten bisher nur von den Austauschen gehört und noch nie teilgenommen. Bei einem kleinen Willkommenstrunk war das erste Eis gebrochen und schnell fanden die Gäste und Gastgeber zusammen. Bevor es aber in die Quartiere für die kommende Woche ging, musste noch erst die Zutaten für das traditionelle französische Essen vom Bus in den bereitgestellten Kühlwagen verbracht werden. Anschließend wurden die Koffer in die jeweiligen Autos geladen und bei einem Mittagessen konnten erste Verbindungen aufgebaut und bestehende Freundschaften vertieft werden. Mittels installierter Sprach-Apps klappte die Kommunikation sehr schnell. Ein Hoch auf das digitale Zeitalter.

Am Nachmittag durften sich die Teilnehmer beider Nationen statt beim Boule einmal im Bosseln messen und eine willkommene Abwechslung nach der langen Busfahrt.

Was sollte man unbedingt gesehen haben, wenn man sich Ende August in der Lüneburger Heide aufhält? Natürlich eine der riesigen blühenden Kulturlandschaften. Deshalb nahm der erste Ausflug Kurs Richtung Hermannsburg, wo sich viele Blühflächen befinden. Angekommen am Wietzer Berg, machten sich alle auf, um die kleine Erhebung zu erklimmen und den Blick über die lila Fläche schweifen zu lassen. Gerne hätten alle länger verweilt, aber die Vorbereitungen für das französische Essen standen auf dem Programm und dazu gab es trotz der vielen heimatlichen Vorbereitungen noch etliches zu erledigen.

Die Tische in der Kartoffelscheune wurden in schwarz-rot-gold und blau-weiß-rot gedeckt. Die großen Kisten mit den normannischen Köstlichkeiten aus dem Kühlwagen geholt und der Wein aus Kanistern in handliche Flaschen umgefüllt. Pünktlich zum Eintreffen der deutschen Gäste war alles zubereitet und nach dem Begrüßungsaperitif nahm der Abend seinen Verlauf. Zu dem eigens für diesen Anlass hergestellten zwei-Meter-langen Broten verwöhnten die Gäste ihre Gastgeber mit Pasteten, Kartoffel-Püree, Gemüsepotpourri, Braten, danach traditionell Käse: Trappistenkäse und  Camenbert aus der Region und schließlich im voraus gebackenen Kuchen. Selbstverständlich durfte der Digestif in Form von Calvados nicht fehlen.

Am Montagmorgen startete der Bus in Richtung Wolfsburg zu einer Besichtigung der Produktion im VW-Werk. Dort angekommen wurden die Interessierten in eigens zu diesem Zweck vorgesehenen Züge platziert, deren Zugmaschinen aus VW-Beetle bestehen. Vorbei an der Fertigungsstraße, in der das Modell „Tiguan“ von den Mitarbeitern zusammengebaut wird, verlief die Tour durch teils historische Gebäude und die einzelnen Fertigungsschritte wurden über Lautsprecher erläutert.

Am Nachmittag stand der neue Agrarstandort der Firma Raiffeisen-Waren auf dem Programm. Die Geschäftsführerin Mareike Hager zeigte den Besuchern die gesamte Anlage, die auf neustem Standard errichtet wurde. Hinter den weit sichtbaren Silos, die 14.000 t Getreide fassen können erstrecken sich die Kartoffelhallen. Die kleinere der beiden fasst 6.000 t und darin vorgelagert ist die Sortieranlage, die Kartoffeln in sekundenschnelle in 8 unterschiedliche Größen einteilen kann. In den Größeren lagern bis zu 13.000 t. Diese können mittels Kühlung bis in die Sommermonate frisch und verarbeitungsfähig gehalten werden. Sehr viel kleinere Feldfrüchte konnten im anschließenden Besuch der Heidelbeer-Plantage der Familie Hager in Hahnenhorn in Augenschein genommen werden. Hier wachsen auf 3 Hektar Heidelbeerbüsche, die zu zwei Drittel durch Tunnelanlagen ihre blauen Beeren eher ausbilden und dadurch die Erntezeit auf drei Monate ausgedehnt werden kann. Nach einem Eisbecher aus der Hofproduktion der „Milchburschen“ gaben Sven und Lennart Hager viel Wissenswertes über ihren Anbau preis. Die Führung erstreckte sich durch die Tunnel über die angrenzende Biogas-Anlage bis zu den Kühlräumen des Betriebes.

Am folgenden Tag standen anfänglich mit dem Besuch der Gedenkstätte Bergen-Belsen die Gräueltaten des zweiten Weltkrieges im Focus. Erinnerungen an unmenschliches Verhalten sind in Zeiten des Ukrainekrieges wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt. Hier fanden die Franzosen auch den Hinweis auf eine französische Inhaftierte, die überlebt hat, während andere auch nach der Befreiung des Lagers an Epidemien verstarben.

Einen starken Kontrast bildete der anschließende Besuch des Vogelparks Walsrode, in dem die bunte Welt der Vögel in allen Nuancen zu bestaunen gab. Als besonderes Highlight empfanden die Besucher die Frei-Flug-Show zum Abschluss.

Landwirtschaftliche High-Tech stand zu Beginn vom Mittwoch auf dem Programm. Der nunmehr weltweit operierende Konzern AGCO übernahm im vergangenen Jahr den Betrieb der Welger-Brüder. Hier wurden die bekannten roten Heu- und Strohpressen hergestellt. Die Besuchergruppe durfte nach einem Filmvortrag in die Produktionshallen auf Tuchfühlung mit den High-Tech-Geräten gehen. Da keinerlei Produktion stattfand, konnte man direkt am Objekt den Erläuterungen der beiden verantwortlichen Herren lauschen und die Rundballenpressen sowie Ladewagen im Detail betrachten, die auf dem französischen Markt keine Unbekannten sind.

Weit zurück in die Historie ging der Besuch des Klosters Wöltingerode mit der Besichtigung und dem Eintauchen in die Herstellung von Edellikören. Nach dem die Augen  bei der Führung durch die mittelalterlichen Gebäude des Frauenklosters auf ihre Kosten kamen, durften sich die Geschmacksknospen auf die Verkostung von Likören freuen. Viele Flaschen mit geistreichem Inhalt bereichern nun auf der „anderen Seite des Rheins“(in Frankreich) das Aperitif-Angebot.

Großstädtisch neigte sich der Austausch dem Ende entgegen. Einmal Hannover „à pied“ entdecken. Zwei Stadtführer zeigten die markanten historischen Plätze und wussten viel darüber zu erzählen. Zum Schluss führte der Weg auch am Landtag vorbei, der vor sechs Jahren Ziel eines Besuches war. An der Markthalle fand ein jeder einen kleinen Imbiss bevor es schließlich zum Küchenmuseum, der „World of Kitchen“ ging. Hier hat es sich ein gemeinnütziger Verein zur Aufgabe gemacht, Küchen im Wandel der Zeiten und auch weltweite Modelle zur Anschauung aufzubauen. Die französische Variante war auf Champagner ausgerichtet. Nebenbei werden auch Kochkurse für Kinder angeboten, um ihnen Alternativen zum Fastfood aufzuzeigen.

Der nun herangerückte Abreisetag bot den Gastgebern die Möglichkeit ihren Gästen auf eigene Faust und ohne Terminplan die eine oder andere Sehenswürdigkeit zu zeigen. Am Nachmittag hieß es dann „Koffer packen“ und schnell rückte der „deutsche Abend“ heran. Die Scheunentore öffneten sich wieder weit und die Düfte der deutschen Küche luden zum Essen ein. Nun hieß es Abschied nehmen! Nachdem die Dankesworte und die Aufmerksamkeiten für die Gruppen beider Nationalitäten ausgetauscht waren und das Gepäck im Bus verstaut war, fanden sich wenig Worte, die die Gefühle der vielen gefestigten und neuen Freundschaften hätten ausdrücken können. Die Tore schlossen sich in der Nacht und harren auf den nächsten Besuch, der nach dem nächsten Austausch auf der französischen Seite in vier Jahren anvisiert ist.

 

Zu guter Letzt danken wir den deutsch-französischen Bürgerfonds für eine großzügige finanzielle Unterstützung. Der Bürgerfonds geht auf den im Jahr 2019 zwischen Deutschland und Frankreich geschlossenen Vertrag zurück und wurde 2020 errichtet.  Der durch Frankreich und Deutschland zu gleichen Teilen finanzierte Bürgerfonds berät, vernetzt und finanziert Projekte, die die deutsch-französische Freundschaft und Europa in der Breite der Bevölkerung erlebbar machen. Über Grenzen, Regionen und Generationen hinweg sollen Bürger*innen aus Frankreich und Deutschland einander kennenlernen und begegnen, Freundschaften schließen und die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit intensivieren. Der deutsch-französische Bürgerfonds unterstützt ehrenamtliche Bürgerinitiativen, Vereine oder Städtepartnerschaften und ermöglicht es engagierten Bürgerinnen und Bürgern, gemeinsame deutsch-französische Projekte zu entwickeln und generationsübergreifend umzusetzen. Begegnungs- und Austauschprojekte, die der Initiierung, Vertiefung oder Erneuerung der deutsch-französischen Beziehungen dienen, werden gefördert, um den europäischen Einigungsprozess zu stärken und neue Zielgruppen für einen Austausch zwischen beiden Ländern zu gewinnen.

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